
Insolvenzrecht – § 80 Abs. 1 InsO – Zurechnung der vor Insolvenzeröffnung durch den Schuldner erlangten Kenntnis beim Insolvenzverwalter für die Frage des Verjährungsbeginns
(BGH, Urt. v. 7.4.2022, Az. IX ZR 107/20, WM 2022, S. 926 ff.)
Hinsichtlich des Beginns der Verjährungsfrist hat sich der Insolvenzverwalter die bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erlangte Kenntnis des Insolvenzschuldners von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Drittschuldners grundsätzlich zurechnen zu lassen.
(BGH, Urt. v. 7.4.2022, Az. IX ZR 107/20, WM 2022, S. 926 ff.)
Der BGH hatte sich in dem Verfahren zum wiederholten Mal mit Fragen zur Rückforderung von auf betrügerischen Schneeballsystemen beruhenden Dividendenausschüttungen zu befassen. Auf der Grundlage von jeweils einen Überschuss ausweisenden Jahresabschlüssen hatte der Beklagte von der Schuldnerin Ausschüttungen auf bei ihr unterhaltene Genussrechte erhalten. Die Feststellung dieser maßgeblichen Jahresabschlüsse hatte der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Schuldnerin als fehlerhaft angefochten und verlangte von dem Beklagten mit der Begründung, wegen in Wirklichkeit fehlender Gewinne hätten in den maßgeblichen Jahren die vertraglichen Voraussetzungen für die Ausschüttungen nicht vorgelegen, Rückzahlung der erhaltenen Zahlungen. Den Anspruch stützt er auf Schenkungsanfechtung, hilfsweise auf Bereicherungsrecht.
Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg, die Revision führte zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung an das Berufungsgericht.
Soweit der Kläger den Rückzahlungsanspruch auf Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB) stützte, war dieser verjährt. Die Organe der Schuldnerin hatten spätestens im Jahr 2013 davon Kenntnis, dass kein Gewinn erzielt wurde, so dass die Verjährung bereits Ende 2016 eingetreten war. Dem Einwand der Revision, für den Beginn der Verjährung des bereicherungsrechtlichen Anspruchs sei nicht auf die Kenntnis des Schuldners, sondern auf die des Insolvenzverwalters abzustellen, erteilt der Senat eine Absage. Wenn sich im Falle eines Gläubigerwechsels durch Abtretung (§ 398 BGB), Legalzession (§ 412 BGB) oder Gesamtrechtsnachfolge, der neue Gläubiger – entsprechend § 404 BGB – die Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis des alten Gläubigers zurechnen lassen muss, könne für den Insolvenzverwalter, auf den die Verfügungsbefugnis über die massezughörigen Forderungen nach § 80 Abs. 1 InsO übergegangen ist, nichts anderes gelten. Würde man auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters abstellen, würde die Insolvenzeröffnung zudem zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Neubeginn der Verjährung führen und damit der Intention des Gesetzgebers, mit der Schuldrechtsreform einen Neubeginn der Verjährung auf wenige gesetzliche Ausnahmefälle zu begrenzen, zuwiderlaufen.
Dass der II. Zivilsenat in einer früheren Entscheidung (AZ: II ZR 177/11) für den Beginn der Verjährungsfrist auf die Kenntnis des Insolvenzverwalters abgestellt hatte, stehe hierzu nicht im Widerspruch. Die Entscheidung betraf den Sonderfall der als Innenhaftung ausgestalteten Existenzvernichtungshaftung, bei der u.U. der Schädiger und das einzige Organ der anspruchsberechtigten Gesellschaft personenidentisch sind und damit dessen Kenntnis für den Verjährungsbeginn nicht erheblich sein kann.
Anders als das Berufungsgericht beurteilte der Senat aber die vorrangig geltend gemachte Schenkungsanfechtung. Für den Anspruch nach §§ 143 Abs. 1, 134 Abs. 1 InsO kam es allein darauf an, ob die Leistung der Schuldnerin an den Beklagten aufgrund des Genussrechtsvertrages unentgeltlich erfolgt war.
Unentgeltlichkeit scheide aus, wenn dem Beklagten aus dem geschlossenen Genussrechtsvertrag, den der Senat trotz des von der Schuldnerin betriebenen betrügerischen Schneeballsystems weder nach § 138 BGB noch nach § 134 BGB als unwirksam ansah, ein Anspruch auf die erfolgten Ausschüttungen zustand, weil die Schuldnerin die nach den vertraglichen Regelungen erforderlichen Gewinne erwirtschaftet hatte. Maßgeblich hierfür sei die objektive (wahre) Ertragslage der Schuldnerin und nicht die festgestellten Jahresabschlüsse oder deren Wirksamkeit nach dem Aktiengesetz. Das Berufungsgericht hatte hierzu keine Feststellungen getroffen.
Unentgeltlichkeit scheide auch aus, wenn die Zahlungen zwar rechtsgrundlos erfolgt waren, der Beklagte einem daraus resultierenden Bereicherungsanspruch aber gem. § 814 BGB Kenntnis der Schuldnerin von einer etwaigen Nichtschuld entgegenhalten könne. Die erforderliche positive Kenntnis der für die Schuldnerin verantwortlich handelnden Personen im Zeitpunkt der Leistung sah das Berufungsgericht nicht als erwiesen an.
Hiergegen wendet sich der Senat mit der Begründung, die von der Vorinstanz angewandten Wertungsgrundsätze seien fehlerhaft. Unter anderem hätte der nicht widerlegte Vortrag des Klägers, dass die Schuldnerin in den maßgeblichen Geschäftszweigen bewusst ein betrügerisches Schneeballsystem betrieben habe, bei der Würdigung nicht außer Acht gelassen werden dürfen. Ein Schuldner, der weiß, dass er von Neuanlegern Gelder einsammelt, um aus dem eingesam-melten Geld an die Altanleger über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne hinausgehende Scheingewinne auszuzahlen, weiß – nach der ausreichenden Parallelwertung in der Laiensphäre -, dass die über die tatsächlich erwirtschafteten Gewinne weitere Gewinne ausweisenden Jahresabschlüsse unrichtig sind und damit die Grundlage für die Ansprüche der Genussrechtsinhaber fehlte. Dass die Jahresabschlüsse mit Billigung des Aufsichtsrats verbindlich festgestellt und darüber hinaus durch einen Wirtschaftsprüfer testiert worden waren, ließ der Senat nicht ausreichen, um eine Kenntnis der Organe der Schuldnerin auszuschließen. [GK]

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